Die karolingischen Hausmeier.
21
bestimmter Zeit zur-Gauversammlung aufmachte und über seinesgleichen zu Gericht saß. Die Gattin, der die Schlüsselgewalt zustand, waltete indessen in Haus und Hof. In derber Einfachheit lebte die bäuerliche Familie.
Die Bedürfnisse, die sie hatte, konnte zumeist der eigene Haushalt befriedigen. Der eigene Acker bot das Brot, das eigene Vieh und etwa das Wild des Waldes das Fleisch; aus dem selbstgebauten Flachs und der Wolle der Schafe stellten die Frauen des Hauses die Kleidung her; Hausgerät fertigten die Männer, wie sie auch die Häuser bauten. Man kaufte wenig; auch waren Geldmünzen ein seltener Besitz.
Nicht überall indessen war der Boden im Besitz eines freien Bauern- 6®™bb't standes. In Gallien besonders gab es noch von der Römerzeit her große sim. Güter; aber auch in Austrasien gab es große Gutswirtschaften. Die Grundherren ließen ihre Güter durch abhängige, hörige Leute bewirtschaften; sie schalteten wie Fürsten auf ihrem Gebiet; sie bildeten einen Adel, der große Macht besaß, ganze Scharen von bewaffneten Hörigen ins Feld führen konnte und sich öfter gegen die Könige aufsässig zeigte.
Auch die Könige der Franken waren zugleich große Grundbesitzer. Me Könige. Ihre wichtigste Einnahmequelle waren die weit ausgedehnten Krongüter (Domänen), die im Lande zerstreut lagen, und deren Ertrag zur Verpflegung des Hofes, des königlichen Gefolges und der Beamten diente. Eine feste Residenz hatten die Frankenkönige nicht; sie zogen mit ihrem Hos von einer Pfalz zur andern. Sie hatten einen Hofstaat ausgebildet; es gab einen Die Beamten, obersten Mundschenk, einen Seneschalk oder Truchseß, einen Marschalk, einen Kämmerer, einen Schatzmeister, einen Geheimschreiber; größere Macht als alle übrigen Hofbeamten erwarb bald der Hausmeier (Majordomus), der Vorsteher des königlichen Haushalts. Das Land war in Grafschaften geteilt, an deren Spitze Grafen standen. Diese führten das Aufgebot der Grafschaft im Felde an und leiteten die Gerichtsversammlungen.
Tic karolingischen Hausmeier.
§ 21. Während die merowingischen Könige in Trägheit und Schlaffheit verkamen, gewann im siebenten Jahrhundert ein austrasisches Adelsgeschlecht eine steigende Bedeutung. Pippin der Ältere tritt zuerst hervor; er Pippin war ein reicher Grundbesitzer, der über viele hörige Leute verfügte, dazu6er Itcre" Hausmeier in Austrasien und schaltete wie ein Regent in diesem Lande. Sein Enkel Pippin der Mittlere, der ebenfalls Hausmeier in Austrasien Pippin war, erwarb durch einen Sieg über den König von Neustrien und den Haus-ber !Mtticie' nietet dieses Landes eine herrschende Stellung im ganzen Frankenreiche.
Auch ferner gab es merowingifche Könige, aber es waren Schattenkönige.
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94
Geschichtliche Tabellen.
814 — 840
843
887
911
919-1250 919—1024 919 — 936
936 — 973
Umsichgreifen des Lehnswesens (Vasallen). Zunehmende Hörigkeit der Bauern.
Ludwig der Fromme.
Erbstreitigkeiten mit seinen Söhnen; das Lügenfeld bei Kolmar.
Vertrag von Verdun. Reichsteilung unter Lothar, Ludwig den Deutschen und Karl den Kahlen.
Angriffe der Araber, Normannen und Ungarn auf das Reich.
Ludwig der Deutsche. Erwerbung von Lotharingien.
Karl Iii. der Dicke. Letzte Vereinigung des Frankenreichs.
Absetzung Karls des Dicken.
Arnulf von Kärnten.
Ludwig das Kind. Die deutschen Herzogtümer Franken, Sachsen, Bayern, Schwaben, Lothringen.
Ende der ostfränkischen Karolinger.
Konrad I. von Franken.
Ii. Die -rutsche Kaiserm.
1. Die Zeit der Sachsenkaiser.
Heinrich I.
Burgenbau und Schaffung einer Reiterei in Sachsen.
Wendenkriege. Eroberung von Brennabor.
Besiegung der Ungarn bei Riade.
Besiegung der Dänen und Gründung der Mark Schleswig.
Otto I. der Große.
Niederwerfung von Aufständen.
Verleihung der Herzogtümer an Glieder seiner Familie; Bischöfe als Reichsbeamte.
Wendenkriege. Markgraf Gero.
Erster Römerzug (Adelheid); Otto wird König der Langobarden.
Aufstand seines Sohnes Liudolf und seines Schwiegersohnes Konrad des Roten.
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30
Deutsche Geschichte bis zur Gründung des nationalen Staats 919.
Grundherrn, oft des Grafen selbst, besonders gern in den Dienst eines Klosters oder Bistums; denn unter dem Krummstab, sagte man, ist gut wohnen. Dann waren sie der Kriegspflicht ledig; der neue Herr, dem sie einen Zins zahlen mußten, schützte sie auf ihrem Hofe, den sie zwar nicht mehr als freie Leute, aber sonst weniger behindert als früher bewirtschafteten.
Dies hat auch Karl trotz einiger Versuche nicht hindern können. So ist es gekommen, daß im Laufe der Jahrhunderte der freie Bauernstand mehr und mehr verschwand und die Bauern zumeist hörig wurden. Wachsende Damit hängt aber zusammen, daß die Vasallen des Königs immer Vasalie" mächtiger wurden und die königliche Gewalt einzuschränken suchten. Die Lehen, die der Belehnte anfangs nur auf Lebenszeit erhielt, wurden bald ein erblicher Besitz; schon die nächsten Nachfolger des großen Karl haben mit den Vasallen schwere Kämpfe führen müssen.
§ 31. Karls Tod. 814. Als Karl sein Ende herannahen fühlte, berief er seinen Sohn Ludwig, den einzigen, den ihm der Tod nicht entrissen hatte, zu sich nach Aachen und setzte ihn in feierlicher Versammlung zum Nachfolger und Mitregenten ein. Einige Monate später starb er und wurde im Münster zu Aachen beigesetzt. Seine Gestalt prägte sich den Völkern, die er Sagen, beherrscht hatte, ein, und ein reicher Kranz von Sagen flocht sich um sein Andenken. Man erzählte sich, wie gewaltig seine Körperkraft gewesen sei, wie er Gerechtigkeit geübt und die Stolzen und Eitlen gedemütigt habe, wie ihn die edelsten Helden als seine Paladine umgaben. Man war gern bereit das Märchen zu glauben, daß er in der Aachener Kaisergruft auf einem Throne sitzend beigesetzt sei, und daß ihn so Kaiser Otto Iii. gefunden habe. Alte Einrichtungen führte man noch in später Zeit gern auf ihn zurück; in seiner Person sah man die ganze Majestät des Kaisertums verkörpert.
Die späteren Karolinger.
Ludwig der § 32. Ludwig der Fromme. Karls Sohn Ludwig trägt den Namen 8^-840. der Fromme, weil er der Kirche sehr ergeben war. Um diese hat er sich Verdienste erworben; insbesondere hat er das Erzbistum Hamburg gegründet. Im übrigen war er kein tatkräftiger und starker Herrscher. Unter seiner Regierung wurde das Reich durch Bürgerkriege zerrüttet. Der Kaiser hatte nämlich wenige Jahre nach seiner Thronbesteigung seinen ältesten Sohn Lothar zum Mitkaiser ernannt und zugleich seinen beiden jüngeren Söhnen Pippin und Ludwig Stücke des Reiches zuerteilt. Als ihm aber seine zweite Gemahlin Judith noch einen Sohn gebar, Karl, den man nachher
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Extrahierte Ortsnamen: Karls Aachen Aachen Karls Hamburg
Die späteren Karolinger.
31
den Kahlen nannte, wünschte er auch diesem ein Stück des Erbes zuzuweisen und stieß seine früheren Bestimmungen um. Da erhoben sich die älteren Söhne gegen ihn; der Papst trat auf ihre Seite; und nachdem aus dem „Lügenfelde" bei Kolmar im Elsaß den Kaiser feine Vasallen treulos Das .verlassen hatten, mußte er sich seinen Söhnen ergeben und öffentliche8ü9enfeib" Kirchenbuße tun. Damit waren aber die inneren Wirren nicht zu Ende; auf einem Feldzuge gegen feinen Sohn Ludwig starb der Kaiser 840.
§ 33. Die Reichsteilung von Verdun. 843. Nach dem Hinscheiden des Vaters, dem Pippin bereits im Tode vorangegangen war, tobte der Krieg zwischen den übrigen Söhnen weiter. Endlich kam zu Verdun an Vertrag von der Maas ein Vertrag zustande, wodurch das Reich zwischen ihnen in *843."' folgender Weise aufgeteilt wurde: Lothar, der Älteste, erhielt die Kaiserkrone und Italien, dazu die Gebiete, welche sich, östlich etwa von den Alpen und dem Rheine, westlich von Rhone, Saone, Maas und Schelde begrenzt, vom Mittelmeer bis zur Nordsee erstrecken; Ludwig, nunmehr der Deutsche genannt, erhielt Ostsranken, d. h. die Lande östlich vom Rhein; Karl dem Kahlen wurde Wests ran kett zugewiesen. So zerfiel das Weltreich Karls des Großen; es entstanden allmählich selbständige Staaten und Nationen, eine deutsche, eine französische, eine italienische.
Von den Reichen, welche durch den Vertrag von Verdun entstanden, ist das Lothars nicht von Dauer gewesen. Es wurde nach seinem Tode unter seine drei Sohne geteilt. Der nördlichste dieser Teile aber, der nach Lothars gleichnamigem Sohne den Namen Lotharingien er- Anfall hielt, ist nach dessen Hinscheiden zur Hülste von Ludwig dem Deutschen, rinns'an zur Hälfte von einem seiner Söhne erworben worden. So wurde Ost- Dftfranl£n‘ franken wesentlich vergrößert; es reichte bis zur Maas und zur Schelde, und Metz und Verdun, Brüssel und Antwerpen sind im Mittelalter deutsche Städte gewesen.
Karl I. der Große f814. Ludwig der Fromme f840.
Lothar. Pippin. Ludwig der Deutsche Karl U. der Kahle.
1-876.
Karlmann. Karl Iii. der Dicke, | abgesetzt 887.
Arnulf.
I
Ludwig das Kind 1911.
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32
Deutsche Geschichte bis zur Gründung des nationalen Staats 919.
Angriffe der § 34. Die späteren Karolinger. Während sich das Karolingerreich dxa ei innerlich auflöste, war es zugleich von außen her schweren Angriffen ausgesetzt. Die Länder am Mittelmeer litten unter den Arabern, die mit ihren Flotten die See beherrschten und die Küsten Plünderten, die Insel Sizilien und einen großen Teil Unteritaliens eroberten. Im Osten hatte Ungarn.man es mit dem Reitervolke der Magyaren oder Ungarn zutun, die an Stelle der Awaren die Ebenen an der Theiß und Donau eingenommen Normannen.hatten. Der Norden endlich mußte Schweres erdulden durch die Normannen, die Bewohner Skandinaviens und Dänemarks. Diese, Wikinger, d. H. Krieger, genannt, unternahmen auf ihren Schiffen mit kühnem Wagemut weite Naubzüge, liefen in die Flußmündungen ein und verheerten und brandschatzten weithin das Land. Neben anderen Städten haben sie Hamburg verbrannt, dessen Erzbischof seinen Sitz nach Bremen verlegen mußte.
Nach Ludwigs des Deutschen Tode (876) folgten ihm seine Karl der Söhne. Der untüchtigste von ihnen, Karl Iii., später der Dicke genannt, We' überlebte seine Brüder, vereinigte nicht nur Ostftanken, sondern auch noch einmal das ganze Karolingerreich und gewann die Kaiserkrone. Aber als er die Normannen, die Paris bedrohten, anstatt sie mit Waffengewalt anzugreifen, durch das Versprechen einer Geldsumme zum Abzug bewog, regte sich allgemeiner Unwille, und auf einer Reichsversammlung wurde er im 887. Jahre 887 von den Großen abgesetzt; im Jahre darauf starb er. Seitdem blieb das Karolingerreich endgültig geteilt; es zerfiel in die Reiche Ostfranken, Westfranken, Italien und Burgund.
Arnulf. In Ostfranken folgte Arnulf, Karls des Dicken Neffe, bisher Herzog von Kärnten, ein tüchtiger, kriegerischer Mann. Aber erstarb früh, und nun Ludwig das wurde ein Knabe König von Ostfranken, Ludwig das Kind. Für ihn mnb' führte der Erzbischof Hatto von Mainz die Regierung, derselbe, an den sich die Sage vom Mäuseturm in Bingen knüpft. Es war damals eine traurige Zeit für Deutschland. Die Ungarn streiften ungestraft bis zum Rhein. Dazu wurde das Land durch innere Kriege zerrüttet. Denn in jener Zeit, wo die Regierungsgewalt ohnmächtig war und das Reich der Auslösung nahe zu fein schien, regte sich wieder der Selbständigkeitstrieb der einzelnen Stämme, die einst Karl der Große und seine Vorgänger mit gewaltiger Hand nieder-Die Herzog- geworfen hatten; die Stammes Herzogtümer erstanden wieder, und tümer- die Herzöge, edlen Geschlechtern entsprossen, waren bestrebt, ihre Macht dem König gegenüber mehr und mehr auszudehnen. Es waren die fünf Herzogtümer Franken, Sachsen, Bayern, Schwaben und Lothringen, die fast wie selbständige Staaten nebeneinander standen.
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Extrahierte Ortsnamen: Sizilien Ungarn Skandinaviens Hamburg Bremen Paris Italien Burgund Karls Deutschland Rhein Sachsen Bayern Schwaben Lothringen
86
Die Zeit der zunehmenden Auflösung der Reichs 1273 —1519.
nach Westen; griechische Gelehrte wanderten nach dem Abendlande aus und verbreiteten die Kenntnis der griechischen Sprache, die dort allmählich verloren gegangen war; man verhandelte sogar über eine Einigung der v°?K°nse-griechischen und der römischen Kirche. 1453 endlich fiel auch Konstan-1453 tino^et in die Hand der Türken; das oströmische Kaisertum, welches das weströmische um fast 1000 Jahre überlebt hatte, hörte auf zu existieren.
Die Osmanen blieben auch ferner ein eroberndes Volk. Den Kern ihrer Truppen bildeten die Ja nitscharen. Diese bestanden ursprünglich aus gefangenen oder unterworfenen jungen Christen, die gezwungen wurden zum Islam überzutreten und dann dessen eifrige Vorkämpfer wurden; in ihnen besaß der Sultan ein stehendes Heer, während damals noch fast alle anderen Staaten Europas mit Söldnern auskamen, die auf bestimmte Zeit angeworben wurden.
Burgund. § 90. Karl der Kühne von Burgund. Während die Türken an den Grenzen Ungarns erschienen, entstand an der deutschen Westgrenze ein Staat, der ebenfalls für Deutschland gefährlich zu werden drohte. Die Herzöge aus dem Hause Burgund, einer Seitenlinie des in Frankreich herrschenden Hauses Valois, hatten es verstanden, durch Erbschaft. Kauf oder Vertrag zu ihrem Stammlande an der Saone die Gebiete zu gewinnen, welche etwa die heutigen Niederlande, Belgien und das nördlichste Frankreich ausmachen, Gebiete, reich an Bevölkerung und Karl der Wohlstand, mit einem blühenden Ackerbau, Gewerbe und Wandel. Karl der Kühne, der damalige Herzog von Burgund, war einer der glänzendsten und ehrgeizigsten Fürsten Europas.
Da fand Karl ein unerwartetes Ende. Er hatte sich in einen Kampf mit den Schweizer Eidgenossen eingelassen. Aber diese schlugen sein Ritterheer in zwei blutigen Schlachten, rückten dann in das von Karl besetzte Lothringen ein und brachten ihm 1477 in der Winterschlacht von Nancy eine dritte Niederlage bei. Karl selbst fiel; er hinterließ nur eine Tochter Maria. Gegen sie erhoben sich Karls des Kühnen Gegner, vor allem Ludwig Xi., der verschlagene und treulose König von Frank-Maximttianreich. Da reichte diese dem Kaisersohn Maximilian ihre Hand; ihm Burgund gelang es, im Kampfe mit Frankreich zwar nicht Burgund, aber doch die Niederlande zu behaupten. Mit jener Heirat begann eine Periode des Emporsteigend für das Haus Habsburg, das durch eine Reihe weiterer glücklicher Familienverbindungen sich zu der Stellung einer europäischen Großmacht emporschwang.
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— 210 —
Feldlager verwandelt, und zahllose Wachtfeuer lohten mit qualmender Flamme zum wetterschwarzen Nachthimmel empor.
Selbst die Domstufen dienten als Schlafstätte, und auf den Steinfliesen der Häuser brannten die Lagerfeuer und ruhten die Soldaten. Pferde und Menschen lagen nebeneinander, ermattet von den Anstrengungen der Flucht und dem ausgestandenen Hunger.
Alle Läden waren geschlossen. In höchster Eile brachten die Bürger ihre Habseligkeiten, die letzten Reste aus der langen Erpressungszeit, in sichere Verwahrung. Sie fürchteten eine allgemeine Plünderung, da bekannt geworden war, daß die fliehenden Franzosen die Dörfer ausgeraubt hatten. Es war darum ein Glück für die Stadt, daß der Kaiser in diesen Tagen mit feinem Gefolge in ihr Aufenthalt nahm. Auf seinen Befehl durchstreiften zahlreiche Wachen nach allen Richtungen die Stadt und nahmen alle, die sich einfallen ließen, Sicherheit und Ruhe zu stören, in Haft und schafften sie ins Biwak.
Unterdessen dauerte der Durchzug der geschlagenen Armee weiter fort und schien tatsächlich kein Ende nehmen zu wollen. Am Tage übertraf das Truppengewühl in den Straßen vom Anger bis zum Brühlertor alles bisher Gesehene. Nur in den Nachtstunden wurde es etwas ruhiger, da ein kaiserlicher Befehl für diese Zeit die Tore selbst feinen Soldaten sperrte. Die fliehende Armee mußte in der Nacht außerhalb der Stadt vorübermar-fchiereu.
Abreise Napoleons: In der Nacht vom 24. zum 25. Oktober verließ Napoleon die Stadt; denn die Preußen und Verbündeten waren ihr bedenklich nahe gekommen. Der Donner ihrer Geschütze rollte schon aus der Ferne herüber, selbst das Knattern des Gewehrfeuers war deutlich hörbar. So wurden schnell die Zelte niedergerissen, die Tornister gepackt und die Gewehre geschultert. Kurz nach Mitternacht marschierte eine Abteilung der kaiserlichen Garde vor der Hosstatt auf und nahm zu beiden Seiten des Eingangs Ausstellung. Dann fuhr der Reifewagen des Kaisers vor. Ihm folgte eine endlose Reihe von Kutschen. Diener mit Pechfackeln bildeten eine Ehrengasse bis zum Wagen. Nachdem dann ein lauter Trommelwirbel gerührt war, trat der Kaiser mit einem reichen Gefolge von Marschällen und Adjutanten aus dem hohen Tor. Den Kopf bedeckte der kleine Dreispitz. Des Kaisers Züge waren finster und bleich. Sein Blick streifte flüchtig die Menge. Fester schlug er den Wettermantel um sich und bestieg den Wagen. Ein General war sein Reisebegleiter. Vom Turm der nahen Wigbertikirche kündete mit dumpfen Schlägen die Glocke die zweite Stunde der Nacht.
Gerade jetzt dröhnte der Widerhall des Gefchützfeuers der Preußen und ihrer Verbündeten gewaltiger über die Stadt. Langsam fetzte sich der Zug der Wagen in Bewegung. Das Auge des Kaisers starrte schweigend in die finstere Nacht. Dachte er viel-
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— 215
davorstehenden Kinderschar, die _ das lustige Tierchen mit Nüssen
fütterte O du glückliche, sorglose Jugend!
u (Nach Const. Beyer u. ct.)
78. Vpie die Preußen endlich in Erfurt einziehen, die Franzosen aber ihren Buszug halten.
6. 3anuar und 16. Itlai 1814.
Einzug der Preußen: Der langersehnte 6. Januar 1814
war da. Am Morgen verkündete ein Anschlag an den Straßenecken den Bürgern den Einmarsch der Preußen. Er jonte um 12 Uhr stattsinden, doch jedermann der Feier sernblerben. -wer ungeachtet dieses Verbotes harrte eine dichte Menge m den Em-zugsstraßen nach dem Schmidtstedtertor zu und ertrug geduldig zum letzten Male die Ausschreitungen der dort ausmarschierten
französischen Regimenter.
Der Einzug verzögerte sich bis nachmittags 2 Uhr. La verkündete endlich ein weithin schallendes Jubelgeschrei die Ankrmst der Befreier. Dem Zuge voran ritt eine Abteilung französischer Reiterei, der noch die Wache aus dem Schmidtstedtertor^ zu Fuß folgte. Dann kamen die Generale Kleist v. Nollendors und v. Börstel mit ihrer zahlreichen Begleitung zu Pferde. Hinter ihnen ritten 6 Trompeter der Landwehr-Ulanen in einfachen, grauen Uniformen^ den Tschako mit dem Kreuz geschmückt. Den Schluß bildete ein Bataillon der schlesischen Infanterie, begleitet von einem Musikkorps. Unter dem Geläut sämtlicher Glocken und dem Jauchzen der Menge gelangte der Zug auf den Anger, wo ihm vom Balkon des Packhofes (Ecke der heutigen Bahnhofstraße) mit Posaunenton das herrliche Lied: „Nun danket alle Gott!"
entgegentönte. Alle waren tief ergriffen, brachte doch der heutige Tag die Erlösung von einer 73tägigen Belagerung unter der Gewaltherrschaft der Franzosen. £Yw...
Störung des Einzugs durch die Franzosen: Plötzlich
fielen aus geringer Entfernung einige Flintenschüsse, und sogleich stürzte sich alles Volk in wildem Gedränge nach der Gegend des Ursulinenklosters, von woher man den Knall gehört Hatte. Ein betrunkener französischer Offizier hatte in seiner Wut von der bei der Natmleonssäuie1) stehenden Wache aus auf das Volk feuern
i) Errichtet zum Andenken an die Geburt des Sohnes Napoleons, der den Titel „König von Rom" erhielt. — Zugleich wurde auch die sogenannte Napoleonshöhe angelegt. Sie wurde am 14. August 1812 von ihrem Schöpfer, dem Präsidenten v. Resch, feierlich eingeweiht und mit einer Büste Napoleons, die in einem Tempel stand, versehen. Doch schon 1813 wurden Tempel Büste durch die Verbündeten bei der Belagerung Erfurts zerstört, und abermals ein Jahr später erhielt die Anlage bei der efen Feier der denkwürdigen Völkerschlacht (am 15. Oktober 1814) den Namen Friedrich Wilhe^shohe und wurde mit einer Büste Friedrich Wilhelms Iii. geschmückt. Das schlichte mal, das sie jetzt ziert, wurde am 18. Oktober 1868 feierlich eingeweiht.
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Extrahierte Personennamen: Napoleons August Napoleons Friedrich_Wilhe^shohe Friedrich Friedrich_Wilhelms Friedrich Wilhelms
— 233 —
geschlossen heran. „Eine Salve! Dann mit dem Bajonett draus!" ries jetzt eine Stimme. Es war Generalmajor v. Bose, der sich zu Fuß der vorstürmenden Abteilung angeschlossen hatte. Das Massenfeuer wurde abgegeben; doch gleichzeitig erfolgte die österreichische Antwort. Nun galt's! Bei äußerster Anstrengung aller Kräfte ging's mit Hurra dem Feinde entgegen. Doch bald wurden die Schritte kürzer; zuletzt hielt die Spitze, feuerte und — wich zurück. Ihr folgten die übrigen. Das feindliche Feuer war zu stark.
Nachtkampf in Podol: Zum Glück kamen jetzt die ande-
ren Abteilungen heran. Sie erneuten sofort den Angriff, und trotz des mörderischen feindlichen Bleibagels, der ihnen entgegenschlug, gelang es, das erste Gehöft Podols zu nehmen. Der Anfang war gemacht; aber noch lange tobte der Kampf im Innern des Dorfes. Es war unheimlich, in die dunklen, voller Feinde steckenden Häuser einzudringen. Aber bald wurde die Arbeit leichter. Ein großer Schrecken schien die Feinde befallen zu haben. Die meisten von ihnen kamen jammernd und winselnd hervorgekrochen und ergaben sich widerstandslos.
Erfolg des Kampfes: Gegen % 2 Uhr erstarb endlich das
Gefecht, nachdem auch die Jserbrückeu im blutigen Handgemenge genommen waren. So hatte denn im Nachtgesecht bei Podol die 15. preußische Brigade mit verhältnismäßig geringen Verlusten der berühmten „Eisernen" der Oesterreicher den Ort und die wichtigen Jser-Nebergänge entrissen und damit den weiteren Vormarsch gesichert.
Vormarsch auf Münchengrätz: Tags darauf folgte man
dem Lauf der Jfer abwärts auf Müuchengrätz zu. Hier tritt bald hinter Podol an das anfangs flache südliche User ein nicht unbedeutender Höhenzug heran, der gegen den Fluß steil abfällt. Der Bergabhang ist so schroff, daß es den Vorrückenden unmöglich gewesen war, Streifwachen zur Beobachtung des Feindes auf die Höhe zu schicken. Nach den anderen Seiten dagegen ist der Abfall weniger steil. Diesen Umstand hatte sich der Feind nutzbar gemacht und zwei Batterien auf den Muskyberg geschickt, um, unterstützt durch zwei Bataillone Infanterie, den Marsch der Preußen nach Möglichkeit auszuhalten.
Cefterrctchifcher Angriff: Gerade als die Hauptmacht der
8. Division, in deren Verband die Erfurter Regimenter marschierten, den Fuß des Berges erreichte, wurden an feinem oberen Rande einige Dampfwolken sichtbar. Da man nicht erkennen konnte, nach welcher Richtung der Pulverdampf sich bewegte, nahm man an, daß es die Batterie der Vorhut sei, die auf abziehende Oesterreicher feure. Doch die angenehme Täuschung hielt nicht lange an. Bald wurde das Zischen heftiger, kräftiger und länger anhaltend, und ein scharfer Knall folgte dem andern. Nun lief alles auseinander und suchte sichere Deckung im Ehausfeegraben
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— 234 —
und in dem etwas entfernteren, tiefen Eifenbahneinschnitt. Um das Feuer abzulenken und auf sich zu ziehen, fnhren jetzt schnell zwei Batterien am Fuße des Nordabhanges ans. Zwar versprach das Schießen gegen die bedeutende Höhe wenig Erfolg, aber der Hauptzweck wurde erreicht. Bald hatten die preußischen Geschütze ein lebhaftes und wohlgezieltes Feuer des Feindes auszuhalten. Es schien, als regne es Feuer vom Himmel. Der Lärm war betäubend, und nur mit Mühe ließen sich die Pferde halten. Trotzdem versah jeder Kanonier treu seine Pflicht.
Siegreiches Vordringen der Preußen: Ans einmal wurde
das feindliche Feuer schwächer, dann hörte es ganz auf. Der Feind batte den Rückzug antreten müssen. Die 7. preußische Division, die auch am frühen Morgen bei Turnau die Jfer überschritten hatte, war geradewegs auf den Mnskyberg losmarschiert. Dort angekommen, hatten einige ihrer Abteilungen fofort von Nord-osten her die Hochebene des Berges erstiegen und die Oesterreicher vertrieben. Diese mußten auch gegen 11 Uhr Münchengrätz räumen, wenn sie nicht gefangen werden wollten; denn schon hatten die Preußen oberhalb und unterhalb des Ortes die Jser überschritten und näherten sich ihm bedenklich.
Im Biwak bei Dobrawuda: Gegen 3 Uhr nachmittags
bezog die 8. Division endlich bei Dobrawuda Biwak. Die Kräfte der Mannschaften waren völlig erschöpft. Zumal das 32. Regiment hatte, obwohl es im Kampfe selbst nicht zur Verwendung gekommen war, furchtbar gelitten. Unter Mittag hatte es sich nahe bei Münchengrätz in einer engen Talschlucht gesammelt. Glühend heiß brannte die Sonne herunter. Mehrere Soldaten brachen durch Hitzschlag zusammen, und jeden Augenblick blieb einer im Chausseegraben zurück. Es fehlte an Wasser. Die wenigen Brunnen eines nahen Dorfes konnten nicht genug geben, und so warfen sich die Leute an stinkenden Pfützen nieder, um ihren Durst zu löschen. Die Offiziere mußten fcharf zugreifen, um es zu verhindern. — Leider herrschte der gleiche Wassermangel auch im Biwak. Der einzige Brunnen des Ortes war bald ausgeschöpft. Der nur wenige Meter breite Dorfteich mußte daher das Wasser für alle Zwecke liefern. Hier wurden Pferde getränkt, dort wuschen sich Soldaten, an einer anderen Stelle wurden Kleidungsstücke und Kochgeschirre gereinigt, daneben aber schöpften Mannschaften Wasser zum Kochen. Wahrlich, ein sonderbares Bild! Bald umzog sich der Himmel, und alles eilte, Hütten zu bauen. Zu diesem Zwecke wurden die Strohdächer der Häuser abgedeckt. Ein wolkenbruchartiger Regen ging hernieder, doch konnte der Ueberflüß an Regenwasser dem Mangel an Trinkwasser nicht abhelfen. Er hatte nur das Gute, daß alle, obwohl sie tüchtig durchnäßt, erfrischt wurden. (Nach den Reg.-Gesch. d. 31. u. 71. Ins.-Reg.)
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